Rede zum Bericht der Staatsregierung

Veröffentlicht am 03.02.2021 in Reden

„Der Blick in die Zeitungen in den letzten Tagen und Wochen verrät: Es wird leider zu oft denen viel Aufmerksamkeit geschenkt, die sich lautstark beklagen, die Krach schlagen und ihrem Unmut am lautesten Luft machen: auf der Straße, am Gartenzaun oder in den sozialen Medien. 

Ich halte das für den falschen Weg: Denn wer am lautesten schreit, hat selten recht.Wer Wahrheiten verdreht und nicht akzeptiert, gehört nicht in den Mittelpunkt des politischen Diskurses. Und hat schon gar nicht einen Großteil der politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit verdient.

Lasst uns den Blick auf die schwächsten Teile unserer Gesellschaft lenken und ihnen eine Stimme, auch in diesem Parlament, geben. Die Corona-Pandemie bringt Belastungen für alle Menschen mit sich. Besonders hart trifft sie jedoch arme Menschen und Kinder. 

Ich will an dieser Stelle daher zunächst auf unsere Kinder eingehen: Im Fokus der Öffnungsdebatten stehen für mich die Rechte von Kindern. Insbesondere ihr Recht auf Bildung und auf Freundschaften. Und eben nicht – verzeihen Sie mir die Polemik – die Haarpracht der Sächsinnen und Sachsen. 

Auch wenn es selbstverständlich sehr wichtig ist, dass die Friseure zeitnah wieder öffnen und das Einkaufen nach dem Prinzip „Click and Collect“ ermöglicht wird. Ich würde mich sehr freuen, wenn das Pandemie-Geschehen das im Februar zulässt. Auch in meinem Erzgebirge werden die Stimmen danach immer lauter, die existenziellen Sorgen, die dahinter stecken, sind mehr als nachvollziehbar.

Oberste Priorität bei der Diskussion über Öffnungsstrategien haben für mich jedoch zurecht Kitas und Schulen. Das ist richtig und wichtig. Denn wir sehen Tag für Tag, wie schwierig die Situation gerade für Kinder ist und welche Herausforderung der Lockdown insbesondere für Schülerinnen und Schüler darstellt. Die Öffnung von anderen Einrichtungen – Kneipen, Restaurants u. a. – können erst nachrangig erfolgen.

Denn wir zementieren gerade ungleiche Lebensverhältnisse für eine ganze Generation. Die Öffnung von Kitas und Schulen ist Mitte Februar natürlich nur möglich, wenn dies das Infektionsgeschehen zulässt.  

Machen wir uns nichts vor, unsere Kinder sind derzeit emotional im Ausnahmezustand. Sie sind einsam. Insbesondere die Kontaktbeschränkungen machen ihnen zu schaffen. Denn Kinder brauchen Kinder. Wir sollten daher auch die Kontaktbeschränkungen aus ihrer Perspektive in den Blick nehmen. Sollten die Corona-Infektionszahlen dies zu lassen, müssen die Kontaktbeschränkungen insbesondere für sie gelockert werden. Denn es ist schwer erklärbar, dass eine Mutter oder ein Vater ihr Kind nicht bei einem Besuch bei Freunden begleiten können. Für viele Kinder ist der Besuch von Gleichaltrigen dadurch schlicht nicht möglich. 

Auch über Corona hinaus würde ich mir wünschen, dass wir unsere Politik viel stärker an den Interessen der Kinder ausrichten. Denn sie sind unsere Zukunft. Für Kinder und ihre Zukunft einzutreten, bedeutet für mich, in Sachsen für ein Bildungsticket einzutreten.Für Kinder und ihre Rechte einzutreten, bedeutet für mich, in Berlin für Kinderrechte im Grundgesetz und eine Kindergrundsicherung zu streiten. Für alle benannten Punkte hat die SPD Konzepte auf den Tisch gelegt. Wir haben die Kinder im Blick und machen sie zum Mittelpunkt unserer sozialdemokratischen Politik.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn dass unsere Koalitionspartner auf Landes- und Bundesebene ebenso sehen. Jetzt an den falschen Ecken zu sparen, bedeutet an der Entwicklung und Zukunft unserer Kinder zu sparen. 

Nun zur zweiten Gruppe: Fakt ist, die Corona-Pandemie trifft arme Menschen sehr hart. Zu den Sorgen um die Gesundheit und erheblichen psychosozialen Belastungen kommen – pandemiebedingte – finanzielle Mehrausgaben, die aus dem schmalen Budget kaum geleistet werden können.

Die Ausgaben für den privaten Haushalt sind in den letzten Monaten angestiegen. Zugleich fallen viele Hilfsangebote in sozialen Einrichtungen weg oder sind nur eingeschränkt verfügbar. Ebenso entfällt die Mittagsverpflegung für Kita- und Schulkinder. Hinzu kommen zusätzliche Ausgaben für Masken und andere notwendige Hygieneartikel. 

Aus den benannten Gründen begrüße ich den Vorschlag des SPD-Arbeitsministers Hubertus Heil, der einen Corona-Zuschuss für Hartz4-Empfänger fordert. Geteilt wird diese Forderung von insgesamt 36 Verbänden und Gewerkschaften, die hierfür einen gemeinsamen Aufruf verfasst haben. Es handelt sich dabei um ein bemerkenswert bereites und wortstarkes Bündnis, darunter auch ver.di und die AWO. Die in ihrem Aufruf zurecht fordern, dass der Regelsatz bei der Grundsicherung auch über Corona hinaus angehoben wird.

Ich teile dieses Ansinnen, und das sollten wir auch dringend aus Corona lernen. Wir müssen die Situation der Menschen und insbesondere der Familie, die von der Grundsicherung leben müssen, verstärkt in den Blick nehmen.  Oftmals hört man so flapsig gesprochen: Das sind die sozial schwachen Familien. Aber sind sie das wirklich? Definitiv nicht! Die angesprochenen Familien haben finanzielle Sorgen, die sich in Zeiten von Corona noch zuspitzen. Und das deshalb, weil wir gravierende soziale Probleme in unserem Land haben. 

Diese muss man beim Namen nennen. Aber die Familien, die davon betroffen sind, sind nicht ‚sozial schwach‘. ‚Sozial schwach‘ sind für mich Leute, die nur egoistisch handeln und nicht solidarisch. Ich denke da an Finanzmarktjongleure oder Leute, die ‚absaufen, absaufen‘ schreien. Das sollten wir bei der Wortwahl bedenken, denn Worte schaffen Realitäten. Und können in dem Fall sehr verletzen.

Vor allem Kinder leiden unter der Armut ihrer Eltern. Jedes fünfte Kind in Sachsen ist armutsgefährdet. Das ist nicht nur eine Zahl, dahinter verbergen sich Schicksale. Daher heißt es, auch nach Corona, nicht am Sozialstaat zu sparen. Ganz im Gegenteil, er gehört ausgebaut und reformiert. Gerade die Krise hat gezeigt, wofür er da ist. Für mich heißt das ganz konkret: Eine Hartz4-Reform und die Einführung einer Kindergrundsicherung. 

Das heißt insbesondere auch, diejenigen zu unterstützen, die sich jeden Tag abrackern, und dennoch am Ende des Monats nicht mehr genug Geld haben, um den Kühlschrank zu füllen. Ich denke hier insbesondere an viele Alleinerziehende und Geringverdiener, die jeden Cent zwei Mal umdrehen müssen. Die gerade jetzt, noch weniger Geld in der Tasche haben. Auch sie müssen vom Sozialstaat aufgefangen werden. Auch für sie muss dieser ausgebaut und reformiert werden. Und eben nicht, wie von so manch neoliberaler Seitenlinie gebrüllt wird, beschnitten. Am Sozialstaat darf nicht gekürzt werden. Die SPD hat auf Bundesebene hierfür die richtigen Konzepte auf den Tisch gelegt. Auch für das soziale Sachsen von morgen!

An dieser Stelle möchte ich mit diesem kurzen Blick auf diese beiden – leider viel zu oft überhörten – Gruppen in Zeiten von Corona enden.

Um das Bild komplett zu machen, müsste ich an dieser Stelle auch über Menschen mit Behinderung sprechen. Deren Alltag sich in Zeiten der Pandemie stark verändert hat. Und deren Interessen leider viel zu selten in den Blick genommen werden. Das ist an dieser Stelle jedoch nicht nötig. Denn den Menschen mit Behinderung wird durch einen Koalitionsantrag bei diesem Plenum die berechtigte Aufmerksamkeit zuteil. Ich freue mich daher insbesondere über die späteren Ausführungen meiner Kollegin Hanka Kliese, die sich schon seit Jahren mit viel Herzblut der Inklusion widmet. 

In diesem Sinne: Hören wir endlich dort genauer hin, wo nicht am laustesten Krach geschlagen wird. Schenken wir denjenigen unsere politische Aufmerksamkeit, die sie dringend nötig haben. Vielen Dank!