Anpassungsbedarf für eine Gesellschaft im Wandel

Veröffentlicht am 19.03.2024 in Reden

Als gesundheitspolitische Sprecherin sowie Sprecherin für Senioren der SPD Landtagsfraktion habe ich mich sehr darüber gefreut, den Eröffnungsvortrag im Rahmen der Regionalkonferenz "Trittsicher in die Zukunft" halten zu können: 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Älter werden ist ein Privileg, das manch anderem verwehrt wurde. Die Lebenserwartung in der Bundesrepublik hat sich in den vergangenen 150 Jahren fast verdoppelt. Und noch nie konnte die Gesundheit von Menschen bis ins hohe Alter hinein dank medizinscher Errungenschaften so gut erhalten werden wie heute. Und doch bekomme ich bisweilen den Eindruck, dass unsere Gesellschaft nach wie vor mit dem Alter hadert.

 
Ich selbst weiß sehr genau, wie viel Leben in der zweiten Hälfte stecken kann. Mein Opa ist letztes Jahr mit 99 Jahren verstorben und hat bis zu seinem 97. Lebensjahr seinen Alltag weitestgehend selbstständig in seiner eigenen Wohnung gemeistert. Mir ist natürlich bewusst, dass viele Menschen deutlich früher auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. 

Doch es wäre falsch, das Leben und Wirken älterer Menschen nur im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit oder Verlust zu thematisieren. Schließlich sprechen wir hier allein in Sachsen von mehr als einer Million Menschen. Ende 2021 machen über 65-Jährige mehr als ein Viertel der sächsischen Bevölkerung aus. 2030 werden es Prognosen zu folge knapp ein Drittel sein – Tendenz steigend. In den Landkreisen Vogtlandkreis, Görlitz, Erzgebirgskreis und Zwickau lag der Anteil bereits im Jahr 2019 bei rund 30 Prozent.

 

Wir reden hier also über Menschen, die noch längst nicht zum alten Eisen gehören. Die ihr Leben gestalten möchten und das Bild unserer Gesellschaft prägen. Und die wir als Gesellschaft, als Demokratie dringend brauchen. Denn Seniorinnen und Senioren bilden ein wichtiges Fundament und sollen möglichst ein selbstbestimmtes, eigenständiges und aktives Leben bis ins hohe Alter führen. Gleichzeitig ist diese Lebensphase, die mehrere Jahrzehnte umfassen kann, von vielen Veränderungen geprägt. Die Lebenslagen zwischen Anfang 60-Jährigen oder Anfang 80-Jährigen unterscheiden sich zum Teil gravierend.

 

Der demografische Wandel und dessen Auswirkungen auf und Herausforderungen für unsere Gesellschaft sind längst Bestandteil einer breiten Debatte. Dabei geht es nicht nur darum, dass fast 13 Millionen „Babyboomer“ bis 2036 in Rente gehen und damit eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Es geht nicht nur um die Frage, wie wir die Rente und Pflege zukünftig finanzieren können. Oder unser Gesundheitssystem so aufstellen, dass eine flächendeckende Versorgung bewahrt werden kann. 

 

Im Mittelpunkt steht die Frage, wie ältere Menschen möglichst lange ein selbstbestimmtes, in die Gemeinschaft eingebundenes Leben führen können. Die Antwort darauf berührt alle Bereiche des Lebens: die Wohnpolitik genauso wie die Verkehrspolitik, die Kultur genauso wie die Sozialplanung in den Kommunen. Denn Seniorenpolitik ist, ähnlich wie Familienpolitik, schwer auf eine einzelne Maßnahme zu reduzieren.

 

Und weil dies so ist, hat sich die aktuelle sächsische Staatsregierung im Koalitionsvertrag dazu bekannt, die Teilhabe von Seniorinnen und Senioren am kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Funktion der Landesseniorenbeauftragten inhaltlich und personell neu aus- und eine eigene Stabsstelle Seniorenpolitik eingerichtet. Darüber hinaus fördert das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt die Landesseniorenvertretung für Sachsen und finanziert das Programm der Alltagsbegleiter. 

 

Alltagsbegleiter sind Menschen, die ehrenamtlich Älteren ohne Pflegegrad im Alltag helfen. Denn auch ohne eine Pflegebedürftigkeit kann Unterstützung im Alltag benötigt werden, um weiterhin selbstständig im eigenen Zuhause leben zu können. Vor allem wenn man alleinstehend ist oder die Angehörigen woanders leben. 

 

Die Ehrenamtlichen begleiten ältere Menschen zum Arzt oder bei ihren Einkäufen im Supermarkt. Sie unterstützen sie bei Aufgaben im Haushalt. Oder gehen mit ihnen spazieren, spielen gemeinsam Spiele und nehmen zusammen kulturelle Angebote wahr. Und ganz nebenbei pflegen sie etwas, das Umfragen zufolge immer stärker leidet: den gesellschaftlichen Zusammenhalt. 

 

Jeder Mensch, ganz gleich welchen Alters, möchte als Individuum mit seinen eigenen Bedürfnissen wahrgenommen werden. Wir alle möchten Teil unserer Umwelt sein, mitwirken und uns einbringen – im Kleinen wie im Großen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Einsamkeit krank machen kann. Einsamkeit kommt in allen Altersgruppen vor. Besonders häufig sind jedoch ältere Menschen betroffen. 

 

Ein Grund dafür ist, dass sie zunehmend weniger Bezugspersonen haben, da Familienangehörige, Lebenspartner, Freunde und Bekannte versterben. Ältere Menschen leben häufiger allein und sind weniger mobil oder sogar krank, wodurch sie seltener die Wohnung verlassen. 

 

Und das kann schwerwiegende Folgen für die Lebensqualität und die Gesundheit haben. Denn Einsamkeit verursacht Stress, der auf Dauer das Immunsystem schwächt, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Entzündungen im Körper erhöht und zu Depressionen und eingeschränkter Hirnleistung führen kann. Menschen, die sozial isoliert sind, sich einsam fühlen oder allein leben, haben ein um bis zu einem Drittel erhöhtes Sterblichkeitsrisiko im Vergleich zu Menschen, auf die das nicht zutrifft.

 

Hier wird deutlich, wie wichtig der Faktor Mensch ist. Gegen die Einsamkeit hilft es, sich mit anderen zu verbinden. Hier können Alltagsbegleiter mit ihrer Arbeit viel bewirken. Doch es muss unser Ziel sein, dass ältere Menschen gar nicht erst in die Situation geraten, in der sie den sozialen Anschluss verlieren. 

 

Gerade wenn die eigene Mobilität nachlässt und der Bewegungsradius kleiner wird, spielt das nähere Umfeld eine immer größere Rolle. Die Gestaltung von Wohnquartieren kann dazu beitragen, dass Raum für Begegnungen geschaffen wird, um z.B. nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen. Wir kennen es vermutlich alle: Oft reicht schon ein Plausch an der Haustür, um die Stimmung zu heben und sich in eine wohlmeinende Gemeinschaft eingebettet zu fühlen. Kleine Anreize wie eine Sitzgelegenheit vor dem Eingang oder Nachbarschaftsfeste können Isolation entgegenwirken. 

 

Eine große Rolle spielt auch die Mobilität. Denn diese ist eng verknüpft mit gesellschaftlicher Teilhabe. Wer mobil ist, kann sich selbstbestimmt inner- und außerhalb des eigenen Wohnortes bewegen, Bedürfnissen des alltäglichen Lebens nachgehen und an unterschiedlichen Freizeitangeboten teilnehmen. Und gerade an dieser Stelle wird der Unterschied zwischen Stadt und ländlichem Raum besonders deutlich. Nicht nur mit Blick auf die Verfügbarkeit von öffentlichem Personennahverkehr, sondern auch mit Blick auf die Fahrzeit mit dem eigenen PKW. 

 

In Orten wie Neuhausen im Erzgebirge beträgt die Anfahrt mit dem Auto zum nächstgelegenen Zentrum 32 Minuten. Im Vergleich dazu beläuft sich die durchschnittliche Fahrzeit zum nächsten Zentrum in Mildenau auf elf und in Torgau auf nur zwei PKW-Minuten. 

Die Staatsregierung hat in den letzten Jahren den ÖPNV deutlich gestärkt und beispielsweise den Busverkehr verdichtet, um häufigere Fahrtzeiten zu ermöglichen. 

 

Die Bundesregierung hat das 49-Euro-Ticket eingeführt, um deutschlandweit preisgünstige Mobilität mit der Bahn zu ermöglichen. Doch gelöst ist das Problem damit noch nicht. Denn nicht in jedem Ort gibt es eine Bahnverbindung und nicht in jedem Ort hält regelmäßig ein Bus. 

 

Um überhaupt mobil bleiben zu können, muss die Gesundheit mitspielen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Freisein von Krankheit und Gebrechen“. 

 

Um im Falle des letzteren – also im Fall von Krankheit und Gebrechen – gut versorgt zu sein, hat das sächsische Sozialministerium das Krankenhausgesetz novelliert und damit neue Möglichkeiten geschaffen, Krankenhäuser im ländlichen Raum in Gesundheitszentren umzuwandeln und so den Standort zu sichern. 

 

Wir haben eine Landarztquote eingeführt und bilden Ärztinnen und Ärzte im ungarischen Pécs aus, um zusätzliche Mediziner für eine Tätigkeit im ländlichen Raum zu gewinnen. Zudem hat der der Freistaat die Anzahl der Studienanfängerplätze für Humanmedizin bereits deutlich auf 615 erhöht. 

 

Das Sozialministerium hat sich im Prozess der Anpassung des Hochschulentwicklungsplanes 2025plus für eine weitere Erhöhung der Plätze für Humanmedizin und Zahnmedizin ausgesprochen. 

Doch der zu Beginn angesprochene demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel macht es uns nicht gerade leicht.

 

Vor diesem Hintergrund sollte die Förderung einer selbstbestimmten Gesundheit stärker in den Fokus rücken. Gesundheitsförderung und Prävention sind insbesondere in einer Gesellschaft des längeren Lebens wichtige Säulen des Gesundheitswesens und keine Frage des Alters. 

 

Viele im Alter vorherrschende chronische Erkrankungen können durch einen gesundheitsförderlichen Lebensstil vermieden oder zumindest in ihrem weiteren Verlauf positiv beeinflusst werden. Insbesondere eine ausreichende körperliche Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, die Vermeidung von Übergewicht, geistige Aktivität, Stressvermeidung und soziale Teilhabe tragen zu einem gesunden Altern, zum Erhalt der Selbstständigkeit und zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bei.

 

Die Sächsische Landesvereinigung für Gesundheitsförderung widmet sich in einem separaten Arbeitsschwerpunkt dem gesunden Altern. Auch in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bildet die Gesundheit älterer Menschen einen wichtigen Schwerpunkt. 

Und doch – in meinen Gesprächen bekomme ich oft den Eindruck, dass wir im Bereich der Prävention noch lange nicht das volle Potential ausschöpfen. Hier freue ich mich ganz besonders mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, um uns darüber auszutauschen, wie wir Gesundheit besser bewahren können.

 

Zum Schluss möchte ich auf ein Thema kommen, dass die Tageszeitung „taz“ in einem Artikel mit den folgenden Sätzen eingeleitet hat: „Die Senioren von heute haben die Zeit ihres Lebens. Zumindest solange sie nicht arm sind, denn dann sind sie schon tot.“ Die sozio-ökonomische Situation von Menschen hat einen gravierenden Einfluss auf ihre Gesundheit. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2019 legt die sozialen Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland dar. 

 

Frauen und Männer mit einem Einkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze haben ein signifikant höheres Mortalitätsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. Menschen mit niedrigem Einkommen, Berufsstatus und Bildungsniveau haben ein erhöhtes Risiko für chronische Krankheiten und Beschwerden. 

 

Auch im individuellen Gesundheitsverhalten und bei verhaltensbezogenen Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht und Hypertonie zeichnen sich die sozialen Unterschiede deutlich ab. Die Folge: Rund 13 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer mit niedrigem Einkommen sterben vor Vollendung des 65. Lebensjahres. 

 

Die Ursachen hierfür - und dem entsprechend auch die Lösungen – sind vielschichtig, offenbaren jedoch sehr eindrücklich, dass soziale Ungleichheit im schlimmsten Fall eine niedrigere Lebenserwartung zur Folge haben kann.

 

Und so ende ich mit dem Satz, mit dem ich begonnen habe: Älter werden ist ein Privileg, das manch anderem verwehrt wurde. Es bietet sehr viele Chancen, die wir als Gesellschaft besser nutzen müssen. Auf den weiteren Austausch mit Ihnen im Verlauf des Tages freue ich mich sehr.